13.04.2023

Moderne Hundezucht

Gedanken zur modernen Hundezucht

Dieser Artikel dient nicht dazu einzelne Rassen zu diffamieren, sondern möchte Fehlentwicklungen aufzeigen und zu deren Behebung aufrufen.
Denn: Für manche Rassen ist es mittlerweile “fünf vor  zwölf”.

Gesunde Hunde züchten zu wollen, ist wohl das Ziel der meisten verantwortungsvollen Züchter.
Dazu gehört nicht nur die Bekämpfung genetisch bedingter Defekte, wie Hüftgelenksdysplasie, Patellaluxation, Spondylosen, erbliche Augenerkrankungen, Herzerkrankungen, sondern auch die Erkrankungen, die Folge einer Überinterpretation des Standards sind.

So wurden in den letzten Jahrzehnten typische Merkmale bei vielen Hunderassen immer stärker überbetont. Dabei wuchs im Laufe der Zeit das Haar oft bis zum Boden, kurze Fänge wurden auf das physisch mögliche Minimum reduziert, kleine Augen “verkrochen” sich im Schädel, übergroße quollen hervor. Manche Rassen haben so starke Falten, Runzeln oder Wammen, dass sie häufig an
Hautkrankheiten, Hänge- oder Rolllid leiden. Zu kurze Beine und extrem langer Haarwuchs beeinträchtigen die Lebensqualität unserer Hunde ebenfalls stark.

Die Richter auf den Ausstellungen und die Züchter sind gefordert, den Standard einer Rasse so auszulegen, dass die Überbetonung von extremen Zuchtmerkmalen vermieden und auch gar nicht gefördert wird, indem man diese mit den höchsten Auszeichnungen prämiert.
Meist noch werden eben diese hoch prämierten Hunde, häufiger in der Zucht Verwendung finden als andere.

Wie sich unsere Rassehunde verändert haben, erkennt man am besten, wenn man alte Abbildungen aus verschiedenen Zeitperioden
vergleicht (siehe unten).

Der Mensch versucht die Hunde noch “schöner” zu machen.
Dies ist zum einen nicht nötig, da unsere Hunde schön sind und zum anderen ist es gefährlich, denn dieses Streben nach Übertypisierung und die Inzucht/Championzucht hat in der Vergangenheit für viele Rassen zum Unglück geführt. So ist z.B. das Röcheln einiger brachyzephaler Rassen kein Rassemerkmal oder kein Ausdruck großer Zufriedenheit, sondern schlichtweg das Ringen nach Luft (Atemnot).

Ein zeitgemäßes Zuchtziel wäre, die Rassen mit ihrem rassespezifischen phänotypischen- und Wesensmerkmalen so auszustatten, dass sie eine dauerhafte Chance zum Überleben haben.
Es gibt keinen Standard, der den kranken Hund fordert und dennoch gibt es Rassen, die sich eindeutig auf züchterischen Abwegen befinden.

Ein solides und hundefreundliches Augenmaß bei allen Zuchtmaßnahmen wird benötigt und Selektionsmaßnahmen müssen gut durchdacht sein. Der Wunsch, den “genetisch gesunden Hund” züchten zu wollen, ist eine Illusion und ist nicht möglich.

Phänotypisch gesunde Hunde zu züchten, Hunde also, die gut laufen, hören, sehen und gut atmen können und eine natürliche Lebensfreude haben, ist ein großes Ziel, das anzustreben ist.

Wir hätten natürlich lieber genetisch gesunde Hunde, nur überfordern wir mit solchen Zielen offensichtlich die realistischen Möglichkeiten. Welcher Hund ist schon genotypisch gesund?

Defektbekämpfung kann heißen, Prioritäten zu setzen. Auswahlkriterium muss hierbei, meiner Meinung nach, der Leidensdruck des Hundes sein.
Es macht eben einen entscheidenden Unterschied ob der Hund eine oder mehrere Netzhautfalten hat (MRD), die ihn in keiner Weise beim Sehen beeinträchtigen oder eine Art unaufhörliches Hautbrennen ausgelöst durch eine neurologische Störung (SM), die für den Hund oft ein immensen Leiden darstellt und oftmals zur Euthanasie führt.

Natürlich sollte er am besten gar kein Handicap haben, das ist jedoch Wunschdenken.
Lieber mit einer wirkungsvollen Zuchtstrategie gegen wenige Defekte angehen, als halbherzig und nur scheinbar vieles zu bekämpfen.
Nur, durch den Versuch, ALLE Defekte zu selektieren, würden wir die Zuchtbasis verlieren.

Zur Minimierung erblicher Erkrankungen muß ein Defekt erkannt, eine Datenerhebung veranlasst, die erhobenen Daten wissenschaftlich ausgewertet und evtl. in ein Zuchtprogramm etabliert werden.
Die Wirkung der Zuchtmaßnahme muß nach einem angemessenen Zeitraum bewertet werden.

Zwei weitere Hilfsmittel dem Genotyp eines Zuchthundes näher zu kommen, d.h. um also möglichst viel über seine voraussichtlich Vererbung sagen zu können, sind die Zuchtwertschätzung und der DNA-Test.
Um aber eine aussagekräftige Datenerhebung möglich zu machen, müsste man, wie in der Nutztierzucht, 100 % der Nachkommen untersuchen können.
Das Schätzergebnis ist jedoch ungenau, da in der Hundezucht lediglich nur 20 bis 25 % der geborenen Welpen zur Verfügung stehen.

Den Gentest (DNA-Test) gibt es im Moment nur für monogene Defekte, also für Defekte, die nur in einem Gen kodiert sind.
Hunde könnten vor ihrem Zuchteinsatz ausgetestet werden und somit würde es erstmals möglich, die Merkmalsträger aus der Zucht herauszunehmen und die Anlageträger zu erkennen. Der große Vorteil besteht darin, dass bei einer vernünftigen Zuchtlenkung die Zuchtbasis nicht eingeschränkt wird, denn Anlageträger können in der Zucht bleiben.

Die moderne Hundezucht kann sich nicht nur auf die Bekämpfung der Defekte beschränken, sondern muss Prophylaxe betreiben. Jeder weiß, dass bei dauerhafter Inzucht Defekte vorprogramiert sind.

Als wichtigste Zuchtmaßnahme einer Rasse sollte es sein, eine möglichst breite Zuchtbasis zu erhalten, bzw. zu schaffen.

So sollte das Deckgeschehen nicht nur einer kleinen Gruppe von Rüden überlassen werden, wie es in England leider noch oft genug praktiziert wird. Das heißt, nicht immer nur “Den Champion” für die Zucht einsetzen, sondern auch andere vorzügliche, nicht im “Showring” platzierte Rüden in der Zucht verwenden.

Ich gebe offen zu, dass es mich sehr freut und mit Stolz erfüllt, wenn meine eigenen Hunde auf Zuchtschauen gewinnen und dadurch auch einige Championtitel erreicht wurden.
Meine wichtigsten Zuchtkriterien sind allerdings auch gute Anatomie mit gutem Gangwerk, lebhaftes Wesen, ein schöner Kopf mit moderater Fanglänge und Augengröße. Der Hund ist immer noch ein Lauftier und sollte dies auch bleiben können, egal von welcher Größe er ist und so wäre ein überlanges Haarkleid oder eine zu kurz gezüchtete Nase für den Hund nur hinderlich, bzw. würde ihn
in seiner Lebensqualität negativ beeinflussen.
So bedanke ich mich bei den Zuchtrichterinnen und Zuchtrichtern, die die Qualität meiner Hunde bewertet haben und sie entsprechend platziert haben.

Hundezucht ist eine verantwortungsvolle Aufgabe, die nicht von Emotionen und Profitgier, sondern vor allem durch sachbezogenes Wissen bestimmt sein soll.
So höre auch ich nie auf zu lernen und durch das neue Wissen erkennt man oft, dass man auch Fehler in der Vergangenheit gemacht hat.
Darum vermeide ich bei der Zuchtauswahl Rüden, die übertriebene phänotypische Merkmale aufweisen, versuche Outcrossverpaarungen, sofern dies überhaupt möglich ist, da die meisten Hunde in den weiter zurückliegenden Generationen sowieso irgendwie miteinander verwandt sind und sehe sie mir persönlich auf einer Zuchtschau an, damit ich den Hund auch selbst beurteilen
kann und wie er zu meiner Hündin passt. Meistens jedoch ist für mich die Gangwerksbeurteilung ein Phrase, da mir aufgefallen ist, dass die meisten Hunde im Ring regelrecht an der Vorführleine “aufgehängt” werden. Manche dürfen mit der Vorderhand nicht mal richtig den Boden berühren. Für mich grenzen diese “Vorführtechniken” an Tierquälerei und ich habe leider erst eine Zuchtrichterin
erlebt, die dem Handler sagte, er solle seinen Hund an locker geführter Leine vorführen.

Wir wissen alle, dass es keinen Hund gibt, der fehlerlos ist und wie Anne Rogers Clark schon zitierte: ” All dogs have faults. Great ones wear them well.”

Dazu ist wohl nicht mehr zu sagen.

Verlieren wir jedoch nicht die Freude am Zusammenleben mit Hunden und die wohltuende Bereicherung, die uns unsere Hunde geben, indem Ernsthaftigkeit bezüglich bestimmter Zuchtmaßnahmen in Verbissenheit ausartet, dann würde es sich erübrigen, Hunde zu züchten.

© Doris Steger im Mai 2008

Literaturhinweise/ Quellenangaben:

Artikel Gedanken zur zeitgemäßen Hundezucht / Dr. Helga Eichelberg
Artikel Qualzucht- der Standpunkt der FCI / Hans- W. Müller
Hundezucht 2000/ Hellmuth Wachtel
Rückenprobleme beim Hund /Anders Hallgren

Doris Steger - 18:33 | Kommentar hinzufügen